Pressespiegel
Einige Medienberichte über den Protest und die Folgen. Einen umfangreicheren Pressespiegel aus der Zeit des Gipfels gibt es bei DEM Pressespiegel zum G8 Gipfel 2007 unter Badespasz.
11. Februar 2007
Welt am Sonntag - Protest der Weltverbesserer. Noch 120 Tage bis zum Weltwirtschaftsgipfel in Heilig
Christoph Kleine, Großhändler für Handpuppen, spielt zu Hause gern mit seinen zwei Kindern Kasperletheater. Spielen passt, rein äußerlich, besser zu dem rundlichen Mann als der Kampf. Doch es gibt beide Seiten in Kleines Leben, die gemütliche und die kompromisslose. Nach seiner politischen Überzeugung gefragt, sagt Kleine: "Ich bin Kommunist." Für ihn bedeutet das die Utopie einer gänzlich anderen Gesellschaft. Eine, die nicht mehr nach Klassen eingeteilt ist, in der es nicht nur eine politische, sondern auch eine ökonomische Demokratie gibt. "Ich fände die Welt gerecht, in der die freie Entfaltung eines jeden Bedingung wäre für die freie Entfaltung aller", sagt Kleine, frei nach der Grundformel von Karl Marx.
In den USA verdiene ein Topmanager heute 110-mal so viel wie ein durchschnittlicher Angestellter. Das findet Christoph Kleine ungerecht. Und für diese "neoliberale, militärisch durchgesetzte Weltordnung" gibt es ein Symbol, gegen das es in seinen Augen zu kämpfen gilt: den nächsten Weltwirtschaftsgipfel, der vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm statt findet. "Es geht darum, den G-8-Gipfel zu blockieren", sagt der Lübecker und streicht sich in norddeutscher Gelassenheit über seinen Bauch.
Der 40-jährige Kleine ist Mitglied der Interventionistischen Linken, einer von 23 Organisationen, die die Kampagne "Block G-8" tragen. An den Tagen des G-8-Gipfels will Kleine eine Massenblockade organisieren. "Es geht nicht darum, sich fünf Minuten hinzusetzen und wieder zu gehen", bläut Kleine seinen Mitstreitern ein, "es geht darum, das durchzuziehen."
Die Protestler sollen sich auf die Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm stellen und setzen, dort bleiben und sich "ruhig und besonnen fest unterhaken", solange es eben geht. Kleine hofft, dass es Tausende werden. Zwar wird es unmöglich sein, in die rote Zone rund um das Hotel "Kempinski" vorzudringen. Doch die Delegation der acht Staatschefs wird aus etwa 5000 Mitarbeitern bestehen. In Heiligendamm gibt es aber nur 225 Hotelzimmer. "Wir werden also die behindern, die Herrn Bush sein Mineralwasser bringen", sagt Kleine. Diese Vorstellung gefällt ihm. Und am meisten gefällt ihm, dass sich Angela Merkel, George Bush, Wladimir Putin, ihre Sherpas und Sous-Sherpas hinter einem zwölf Kilometer langen Zaun "verbarrikadieren", der wirke, "als bereite man sich auf einen Bürgerkrieg vor - nicht auf ein Gipfeltreffen". Es ist Christoph Kleine bewusst, dass er mit dieser Blockade die Grenzen der Legalität erreicht, dass er gegen das Versammlungsrecht verstoßen und womöglich der Nötigung bezichtigt werden wird. Trotzdem sagt er: "Wir sind legitim - der Gipfel ist illegitim."

Dies ist genau der Punkt, an dem sich alle Kritiker der G-8 die Hand reichen. Sie verurteilen den Zusammenschluss der G-8-Staaten als demokratisch nicht gerechtfertigt. Sie stört, dass die "Regierungschefs der Industrienationen über den Rest der Welt reden", wie es auf der Homepage des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac steht, "obwohl 86,5 Prozent der Weltbevölkerung nicht vertreten werden".
"Die G-8 nimmt den Vereinten Nationen das Terrain weg", sagt Peter Wahl, Gründer und Führungsmitglied von Attac. "Sie trägt dazu bei, dass die UN immer bedeutungsloser und lächerlicher werden." Wahl ist deutschlandweit der wohl einflussreichste Kopf unter den Globalisierungskritikern. Regelmäßig nimmt er an Fachgesprächen im Umwelt- und Entwicklungsministerium teil. Früher war er kulturpolitischer Stadtrat der Grünen in Bonn. 2002 trat er aus der Partei aus, als die Grünen dem Kosovo-Krieg zustimmten. Und ganz früher, als Abiturient, war Wahl ein Anhänger der CDU. "Wenig später habe ich gemerkt, dass so einiges an unserem Gesellschaftssystem keineswegs so demokratisch ist, wie gern behauptet wird." Bei der Bundeswehr schikanierten ihn alte Wehrmachtsoffiziere. Wahl verweigerte nachträglich. Von da an schien sein Leben dem Widerstand verschrieben. Im folgenden Jahr schloss er sich den Frankfurter Studentenprotesten an.
Der gebürtige Pfälzer hat schon gegen viele Gipfel demonstriert und viele Gegengipfel ausgerichtet. In der Vorbereitung auf Heiligendamm kümmert er sich um die Koordinierung der verschiedenen Protestgruppen, bringt evangelischen Entwicklungsdienst und Greenpeace, Gewerkschaften und autonome Szene an einen Tisch. "Ich arbeite mit vielen zusammen, deren Meinung ich nicht vertrete", sagt Wahl, "aber in der Ablehnung des Gipfels sind wir uns einig."
Vor einigen Wochen war Wahl bei der mecklenburgischen Polizei eingeladen, es gab Kekse und Kaffee. Wahl hat erzählt, was die Gipfelgegner planen. Eine Demo, einen Gegengipfel. Die Polizei hat versichert, dass friedliche Demonstranten willkommen seien, weil jeder seine Meinung äußern dürfe und solle. Wahl ist an einer schönen großen Demo gelegen, "mit Kinderwagen und Alten". Und an einer gewaltfreien Blockade. "Wir wollen keine Steine schmeißen, wie unser ehemaliger Außenminister", sagt er in Anspielung auf Joschka Fischer. Der Attac-Gründer kann natürlich nicht ausschließen, dass es in der Masse der Protestierer auch Gewaltbereite gibt. Gleich eine Abschaffung des Gipfels zu fordern, wie einige radikale Gegner es tun, findet Wahl allerdings "lächerlich" - und formuliert zunächst einmal klare Forderungen: dass die G-8 eine Finanzquelle schaffen, eine Flugsteuer etwa, und die Erlöse daraus direkt in die Aidsbekämpfung einfließen. Dass der Atomausstieg für Deutschland eingehalten und eine CO{-2}-Steuer beschlossen wird. Dass erneuerbare Energien gefördert und die Millenniumsziele finanziert werden, die 2000 von den UN beschlossen wurden. Wahls Vertrauen, dass diese Dinge in Heiligendamm beschlossen werden, ist "gleich null": "Es ist völlig unklar, wie das Ziel, die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukt zu steigern, erreicht werden soll." Auch der Beschluss, jedem Menschen bis 2010 Zugang zu Aidsmedikamenten zu ermöglichen, bliebe ohne Finanzierungsplan eine "Worthülse".
Einsatz für die Armen ist auch das Ziel der katholischen Organisation Pax Christi. Mitglied Friederike Kunze zitiert, nach der Triebfeder ihrer Auflehnung gefragt, das Lukas-Evangelium: "Schwerlich wird ein Reicher in das Königreich Gottes hineinkommen. Leichter ist es, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr hineingeht." Schon mit 14 Jahren hat Kunze in einer kirchlichen Jugendgruppe Kindern beigebracht, welche Worte man nicht benutzen sollte und dass man seinen Müll nicht in den Wald wirft. Während ihres Studiums der katholischen Theologie in Münster schloss sie sich Pax Christi an. "Ich bin religiös, und damit verbindet sich ein politischer Auftrag", sagt Kunze. "Ich kann nicht Nächstenliebe praktizieren und gleichzeitig bei Ungerechtigkeiten wegschauen."
Neulich erst stand sie vor einer Filiale der Deutschen Bank und hat Handzettel verteilt. "Ich habe die Kunden gefragt: Wissen Sie, dass Ihre Bank mit Währungen spekuliert und daraus große Gewinne erzielt? Dass der Handel mit Devisen aber die Stabilität der Währungen in den Entwicklungsländern gefährdet und es zu einer Inflation kommen kann?" Kunze möchte verhindern, dass manche Menschen sich auf Kosten anderer bereichern.
Genau das aber täte auch die G-8-Gruppe: ihr Finanzsystem auf kurzfristige Gewinne ausrichten und Dinge in handelbare Ware verwandeln, die vorher keine gewesen seien, wie Wasser, Medikamente, Patente. "Und dabei gaukeln die G-8 vor, innerhalb kürzester Zeit weltumwälzende Dinge zu schaffen wie die Armut zu stoppen", sagt Kunze. "Die Menschen müssen auf die Wahrheit aufmerksam werden."
Kunze wird den Rednern auf dem Gegengipfel in Rostock zuhören, sie wird demonstrieren und plant sogar, an der Sitzblockade teilzunehmen. Vor der Polizei hat sie keine Angst. "Ich glaube, viele Polizisten würden am liebsten mit
uns gemeinsam demonstrieren." hat.

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